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Philosophie der Entwicklung

Durchlässige Grenzen und Konsistenz

Entwicklungen in der Natur lassen sich unter Umständen besser erfassen, indem man Eigenschaften von aufeinander folgenden Generationen in Beziehung setzt statt Eigenschaften in den aktuellen Kategorien in Raum und Zeit.  

Durch die Verwendung von Fraktalen anstelle von Funktionen lässt sich jeder neuen Generation gleichsam eine neue Eigenschaft zuordnen, die den Charakter einer neuen Dimension hat. Fraktale Mathematik könnte zunächst ohne Bezugnahme auf Raum und Zeit konzipiert und möglicherweise in Bereichen angewendet werden, in denen Raum und Zeit (noch) nicht definiert sind. Zählung von Generationen wird anstelle von Zeit verwendet und Raum erst durch Entwicklung erzeugt.

Wissenschaftliche Experimente werden klassisch in Raum und Zeit beschrieben. Wenn es aber Gebiete gibt, in denen Raum und Zeit nicht definiert sind und die Wissenschaft ohne Experimente auskommen muss, die direkte Messungen anwenden, würde das bedeuten, dass man andere Disziplinen für Fragen über diese Definitionsgrenzen hinaus in Betracht ziehen muss. Optimierung könnte Verifizierung ersetzen mithilfe von Rekursion durch iterative Approximation. Da Lebensprozesse mit allgemeinen Naturgesetzen voll kompatibel sein müssen, können Richtlinien für die Optimierung möglicherweise gefunden werden, indem andere für das Leben relevante Disziplinen einbezogen und verglichen werden. Was könnten solche Disziplinen und typische Eigenschaften im Vergleich verschiedener Generationen sein? Wichtig scheint der erweiternde Schritt von Natur auf Kultur zu sein.

Religion (nicht institutionalisiert) und Kunst könnten in traditionellen Kulturen als gleichwertige Disziplinen im Leben betrachtet. Heutzutage werden sie zwar in weiten Teilen der Geisteswissenschaften, aber in der naturwissenschaftlichen Forschung nur ungern akzeptiert, weil sie in letzteren Experimente unter kontrollierten Bedingungen schwerlich erlauben. Wir könnten wohl besser von Religiosität als von Religion sprechen. Damit wird das Prinzip der Einfachheit hervor gehoben, wie es eher in archaisch traditioneller Moral zum Ausdruck kommt. Entsprechend wird Kunst von Harmonie geleitet, wie sie eher in antiker Schönheit oder Symmetrie zu finden ist. Geisteswissenschaften als dritte Disziplin fragen nach Kausalität, Naturwissenschaften als vierte Disziplin schätzen das Prinzip der Konsistenz als für ernsthafte Kontrollen unabdingbar. Generell scheinen diese Prinzipien nicht unbedingt strenge Gesetze zu sein, aber aufeinander aufzubauen und vorhergehende zumindest teilweise einzuschließen.


Jede Art von Prozessen, die mit klassischer Mathematik beschrieben werden, impliziert die Existenz von Grenzen, innerhalb derer sie definiert sind. Erweiterungen sind im Leben durch Kontaktinhibition begrenzt (nicht definierte oder nicht erlaubte Gebiete). In der Elementarteilchen-Physik ist Ausdehnung durch das axiomatische Pauli-Prinzip beschränkt, das Massen nicht erlaubt, sich gegenseitig zu durchdringen. Diese Art von beschränkter Expansion wird zur Unterscheidung von allgemeiner, als frei verstandener Entwicklung besser wohl Wachstum genannt. Von fraktaler Mathematik beschriebene Expansion respektiert jedoch keine Grenzen und kann somit als echte unbegrenzte Entwicklung betrachtet werden. Wachstum bedeutet also räumlich eingeschränkte Expansion, während Entwicklung ein Ergebnis aufeinander folgender Generationen ist. Mit Entwicklung ist also das Entstehen und eventuelle Verschwinden von Merkmalen gemeint. Evolution bedeutet dagegen das Auftreten permanenter neuer Eigenschaften.

Daher werden die Begriffe Wachstum und Entwicklung als grundsätzlich unterschiedlich oder einander gegenüberstehend verstanden. Sie können als Dualismus oder möglicherweise sogar als generelle Grundlage für die Beschreibung von Dualismen in der Natur angesehen werden. Der Teilchen-Welle-Dualismus, den de Broglie 1924 gefunden hat, bezieht sich auf Teilchen begrenzten Raumes und schließt gleichzeitig die Vorstellung ein, dass eine Welle in ihrer Ausdehnung nicht begrenzt ist.

Wirtschaftswachstum ist an politische Grenzen gebunden, wie durch den Club von Rom 1972 bekannt wurde. Wachstum ist ein kurzfristiges Ergebnis der Respektierung von Grenzen, während verschiedene historische Invasionen langfristige Entwicklungen trotz oder durch respektloses Brechen von Grenzen oder Tabus illustrieren. So gesehene Grenzen und Tabus bedeuten weitgehend dasselbe. Das sesshafte Leben braucht und fordert die Achtung der Grenzen und beschränkt die Freiheit, während das nomadische Leben dazu neigt, Freiheit höher einzustufen als Grenzen oder Tabus. Mehr Freiheit ermöglicht eine echte Entwicklung wie oben definiert.

Beide Formen der Erweiterung existieren und werden möglicherweise benötigt. Durch die jeweilige einseitige Verwendung von Raum und Zeit oder aber aufeinander folgenden Generationen als einseitiges Referenzschema sind Konflikte offensichtlich programmiert und schwer zu vermeiden. Zu respektieren und nicht zu respektieren schließen sich logisch zwar aus. Dies könnte jedoch bei abwägender Betrachtung anders sein. Expansionen werden dann zumindest weniger abhängig von strengen Grenzen und Tabus, folgen mehr den Richtlinien der Optimierung, zum Beispiel auf Grund von Konsistenz, und könnten sich über die als erlaubt definierten Räume und Zeiten hinaus erstrecken.

Dies bedeutet Modifikationen vorher existierender strenger statischer Regeln der Logik, Moral und, wie der Existenzialismus gezeigt hat, auch der Authentizität. Die klassische Logik entscheidet streng zwischen wahr und falsch, die klassische Moral entscheidet sich zwischen gut und böse und die klassische Authentizität zwischen echt oder falsch. Diese drei Paare können als maximale oder extreme Werte der jeweiligen Grunddimensionen des Lebens betrachtet werden. Moderne Sicht bedeutet, dass variable Zwischen- und damit dynamische Werte akzeptiert werden können. Die Dinge mögen mehr oder weniger wahr, mehr oder weniger gut, mehr oder weniger authentisch sein. Ein solches Abwägen entspricht im Prinzip den räumlichen Messungen von Wissenschaft, Technik und klassischer Mathematik, ist jedoch nicht identisch damit.

Offensichtlich kann die tatsächliche Welt nicht nur durch schwarz und weiß oder links und rechts beschrieben werden. Es gibt immer ein kontinuierliches Spektrum zwischen den Extremen, also auch zwischen wahr und falsch, was zu unscharfer (fuzzy) Logik führt, und ebenso zwischen gut und schlecht und zwischen echt und falsch. Fortschritt muss innerhalb dieser Extreme durch Optimierung gefunden werden. Extreme Positionen, die statische Lösungen charakterisieren, gelten als fundamental. Die Optimierung wird zu einer typischen Aufgabe der konsequenten dynamischen Sichtweise und weist deutlich auf Kunst hin. Jede Art von Kunst in der Natur und in der Technik, im Leben und als Arbeit eines Künstlers muss optimiert werden.

Extreme Lösungen, eine rein statische Sichtweise oder Arten des Fundamentalismus reichen dann nicht aus. Total wahr bedeutet Recht und Ordnung, während mit völlig falsch die Vernachlässigung von Gesetzen und Anarchie gemeint sind. Ausschließlich gut wäre es, völlig auf Wettbewerb zu verzichten und sich nur auf soziale Aspekte zu verlegen, während extremer Darwinismus jede Vorstellung vom Guten im moralischen Sinne ausschließt. Totale Authentizität würde nur Egoismus und Selbstverwirklichung beinhalten, während Fake das Gegenteil ist mit kompletter Verkleidung und Mangel an eigener Essenz.

Jede Art von Expansion, Wachstum sowie Entwicklung und sogar Evolution folgt Richtungen und ist somit vektoriell. In einem räumlichen System ist die Zeit jedoch eine unidirektionale Richtlinie (der Pfeil der Zeit) und könnte daher durch natürliche Zahlen gemessen werden, die auf das Zählen von Schritten hinweisen. In einem fraktalen System wird dieser Aspekt von der vierten "Dimension" übernommen, die der Grad der Ordnung oder des Chaos ist und nicht unidirektional ist, sondern Optimierung benötigt. Dies ist ein wichtiges Thema. Weder vollständige Ordnung noch totales Chaos, sondern ein Zwischenweg zwischen ihnen ist die Leitlinie. Man denkt vielleicht an den Mittleren Weg im Buddhismus. Hier führt es jedoch zu dem Verständnis, dass das Leben weder im Kloster noch auf dem Schlachtfeld optimiert werden kann. Kunst findet ihren besten Ausdruck entlang der Grenze zwischen Ordnung und Chaos. Unsere Existenz muss realisiert werden zwischen dem Streben nach Authentizität und der Annahme von Rollenspielen, wie sie im sozialen Leben benötigt werden. Als warnenden Hinweis sollte man sagen, dass in fraktalen Theorien manchmal der Begriff Dimension auch als Beschreibung des Grades der Ordnung missverstanden wird.

Warum können wir uns aber für Religiosität, Kunst und Wissenschaft als Basis für die Optimierung entscheiden? Religiosität bezieht sich auf Gut und Böse, Kunst folgt den Regeln der Authentizität, die mit Schönheit und Harmonie in Verbindung gebracht werden können, und Wissenschaften betrachten die Wahrheit als am wichtigsten, die in der klassischen Mathematik zu strikter Logik führt. In fraktaler Sicht ist Konsistenz stattdessen eine Qualität, die optimiert werden muss, keine absolute.

Das richtige Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos wird zur allgemeinen Richtlinie. Der richtige Weg kann zwischen den Extremen der Künste (Authentizität und Nachahmung), der Religion (Gut und Böse) und der Wissenschaften (wahr und falsch) optimiert werden. Diese Ansicht schreibt dem Mittleren Weg zwischen den Extremen totaler Ordnung oder totalem Chaos eine moderne Bedeutung zu. Während der traditionelle Buddhismus den Achtfachen Pfad als acht wichtige Aspekte zum Erlangen von Einsicht und Erfüllung versteht, bedeutet die hier aufgezeigte Sicht einen Abgleich zwischen acht Extremen, vier auf jeder Seite des Weges.  

ARS symbolisiert mit den Anfangsbuchstaben auf Englisch „Kunst, Religiosität und Wissenschaft“. UNA will „vereint, natürlich und alternativ“ ausdrücken.

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Aktualisiert am 14.05.2020

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